Die Stabilität von Flugzeugen ist heutzutage ein grosses Thema. In Zeiten von Fly by Wire und superkritischen Flügeln wünschte sich wohl schon manch ein Pilot die Ingenieure hätten etwas weniger optimiert und sein Fluggerät aerodynamisch stabiler gebaut.
Während die vollmechanischen Piper, die ich während meiner Ausbildung flog, fast nur mit Vorsatz zum Kontrollverlust gebracht werden können, arbeiten die Luftbusse, die ich heute pilotiere, mit massiver Unterstützung von Computern. Natürlich können sie auch mit direkter Ansteuerung der Ruder problemlos geflogen werden, aber selbst im sogenannten „direct Law“ funkt immer noch mindestens ein Computer dazwischen. Selbst rein mechanisch, also ganz ohne Elektronenhirn, lässt sich ein Airbus noch kontrollieren. Allerdings nur noch mit Seitenruder und Trimmung, was man beim besten Willen nicht mehr komfortabel nennen kann! Zum Glück muss sich Herr Murphy dafür schon etwas Besonderes einfallen lassen, denn bis es so weit kommt, müssen mindestens fünf unabhängige Systeme gleichzeitig versagen.
Auch ohne technische Probleme sind moderne Jetflugzeuge manchmal aerodynamisch instabil. So findet jeder Endanflug auf der kritischen Seite der Widerstandskurve statt, was bedeutet, dass man ohne permanente, kleinste Schubkorrekturen in Kürze entweder zu langsam oder zu schnell fliegt. Da die Triebwerke zudem unter dem Schwerpunkt montiert sind, braucht es bei jeder Schubänderung auch einen Steuerinput am Höhenruder, da sonst, durch das geänderte Drehmoment, die Flugzeugnase entweder steigt oder fällt. Je kürzer das Flugzeug im Verhältnis zur Triebwerkleitung, desto ausgeprägter ist dieser Effekt, den bisher kein noch so ausgeklügeltes elektronisches Steuersystem vollständig kompensieren kann.
Wenn dann noch Turbulenzen oder Thermik dazu kommen, fühle ich mich, vor allem auf der A319 und der A330-200, jeweils als ob ich auf einer Kugel balancieren würde. Ich habe aber gelernt die Instabilität durch feine Steuerausschläge auszugleichen, ohne damit das Flugzeug aufzuschaukeln. Eine grosse Gefahr bei den modernen Steuersystemen ist nämlich, dass der Pilot überkorrigert und somit eine Ablage vom Sollzustand in der entgegengesetzten Richtung erzeugt. Wenn diese Ablage dann wiederum mit einem zu starken Steuerinput gekontert wird, entsteht ein Teufelskreis der sich bis zum totalen Kontrollverlust aufschaukeln kann. Pilot induced oscillation (PIO) nennt man dies im Fachjargon.
All dies ist mir bestens bekannt und trotz 15 Jahren Flugerfahrung bin ich gestern voll in die Falle getappt. Kontrollverlust und Crash waren die Folge. Zum Glück gab es nur Materialschaden und keine Verletzten oder gar Toten! Trotzdem war die Situation äusserst peinlich und hat arg an meinem aviatischen Selbstvertrauen gekratzt.
Wie es dazu kam? Nun, bei meinem Besuch bei meinem Patenjungen letzte Woche, musste ich feststellen, dass der ferngesteuerte Helikopter, den er von mir zu Weihnachten erhalten hatte, bereits nicht mehr funktionierte. Da ich zufällig gerade Hong Kong im Einsatz hatte, habe ich natürlich versprochen schnellstmöglich für Ersatz zu sorgen.
Als mein Kapitän von meinem Plan einen Helikopter zu kaufen erfuhr, beschloss er mich zu begleiten. Da besagter Kapitän in seinem militärischen Leben echte Helikopter fliegt, war ich, als helitechnisches Greenhorn, natürlich froh für den schwierigen Einkauf auf den Rat eines Experten zählen zu können. Schnell war klar, dass die günstigen Modelle, zu denen ich anfänglich tendierte nicht tauglich waren. Für das echte Heligefühl braucht es unbedingt eine Vierkanalsteuerung. Nebst steigen und sinken müssen auch Pitch, Bank und Yaw kontrollierbar sein. Diese Anforderungen erleichterten die Entscheidungsfindung dank der eingeschränkten Auswahl enorm und schon bald war ich stolzer Besitzer eines Modellhelikopters.
Im Hotelzimmer angekommen wird das Ding natürlich sofort ausprobiert, schliesslich ist es ja explizit für Innengebrauch konzipiert. Während die Akkus geladen werden, habe ich Zeit die Bedienungsanleitung zu studieren und danach schreite ich zur Tat. Leider erweist sich das Pilotieren dieses Spielzeuges um einiges diffiziler als das Fliegen eines 270 Tonnen Jets.
Natürlich gehe ich besonders vorsichtig ans Werk, denn ich bin ja nur temporärer Besitzer dieses Wunderwerks der Technik. Trotzdem oder wohl gerade deshalb schaffe ich es nie höher als 10 cm über die zum temporären Heliport umfunktionierte Matratze, bevor das surrende Ding Opfer der Schwerkraft wird. Als dem Akku schliesslich der Saft ausgeht, bin auch ich fix und fertig und reif für den Apéro…
Beim Bier klage ich dem Kapitän mein Leid, worauf er mir den Rat gibt möglichst schnell genügend Höhe zu gewinnen um den Bodeneffekt zu verlassen, weil dieser den Heli äusserst schwer kontrollierbar mache. Danach geht es fürs Nachtessen zum Inder, zum Dépéritif in die Aqua Bar und schliesslich ins Sticky Fingers für Livemusik und Schlummertrunk.
Um gut ein Uhr nachts werde ich von meinen Kollegen auf den Weg nach Hause gewarnt, es wäre unklug unter Biereinfluss zu testen ob ihre helitechnischen Ratschläge hilfreich seien. Zurück im Hotelzimmer schlage ich diese Warnungen natürlich in den Wind und machte mich sofort daran aviatische Heldentaten zu vollbringen.
Schwungvoll hebe ich den Heli von der Matratze und kann, dank meiner trotz Bierkonsum offenbar noch immer ausgezeichneten Reaktionsfähigkeit, äusserst knapp eine wohl fatale Kollision mit dem Rauchmelder an der Zimmerdecke verhindern. Dem blöden Bodeneffekt habe ich aber definitiv den Meister gezeigt!
Etwas Gas raus und schon senkt sich das Fluggerät auf eine vernünftige Höhe. Nun Yaw links, Yaw rechts – wunderbar! Bank links, hoppla zu viel. Achtung die Wand kommt! Bank rechts – Oops ebenfalls zu viel!!! Achtung keine PIO! So ist‘s gut. Den Heli wieder schön stabilisieren. Nun etwas vorwärts. Vorsicht, das Bild! Sofort zurück. Nicht zu viel… Laaaaangsam. Was soll das? Langsam hab ich gesagt! Scheisse, Kopf runter und wieder vorwärts!
Als ich wieder aufblicke sehe ich gerade noch wie der Heli mit furchterregendem Krachen in den Flachbildschirm donnert und dann zwischen Fernsehtisch und Bettkante verschwindet. Mit rotem Kopf und rasendem Puls stürze ich an die Absturzstelle. Der Flatscreen hat zwar ein paar Kratzer davongetragen, scheint aber noch zu funktionieren. Mein Fluggerät zuckt mit herzzerreissendem Piepen am Boden und die vor kurzem noch lustig blinkenden LED Lämpchen scheinen nun um Hilfe zu betteln. Ich hebe das Wrack auf und stelle fest, dass ein Rotorblatt den Crash nicht überlebt hat. Nun bin ich doppelt froh, dass ich beim Einkauf einen Fachmann an meiner Seite hatte, denn auf Empfehlung meines Kapitäns habe ich einige Ersatzrotorblätter gekauft…