Amsterdam an einem kalten Novembermorgen. STD -5. All doors closed. Slides armed. Wir sind gerade an den letzten Checklistenpunkten vor dem Zurückstossen. Die Kabinenchefin kommt ins Cockpit und meldet, die Lademeisterin klopfe an die Tür und wolle offenbar nochmals etwas von uns. Ich weise sie an die Notrutschen an ihrer Türe nochmals zu entriegeln und die Türe zu öffnen.
Kurz danach kommt die aufgeregte Lademeisterin ins Cockpit und stammelt: „The Jetty, a cord, the roof – I cannot explain.“ Aha. Alles klar. Worum geht‘s? „Can I see it?“ frage ich. „Oh yes! Please.“
Ich verlasse das Cockpit und betrete die Passagierbrücke. Die Lademeisterin deutet aufgeregt nach oben. Auf den ersten Blick sehe ich nichts Aussergewöhnliches. Die Brücke ist noch immer mit dem Flugzeug verbunden. „Is something boken?“ „Yes the cord!“ Tatsächlich entdecke ich ein abgerissenes Stück Seil, welches entlang dem Flugzeugrumpf herunterhängt. Auf der anderen Seite des Jettydachs hängt, weit oben, das dazugehörige Gegenstück von einer Rolle herunter. Nun begreife ich das Problem. Eines der beiden Seile, welches das Jettydach vom Flugzeurumpf hebt ist gerissen und nun liegt das Dach auf dem Flugzeug, so dass der Jetty nicht mehr bewegt werden kann.
Ich ergreife das Gestänge des Dachs und versuche dieses zurückzuziehen. Keine Chance. Das Ding scheint aus Blei gefertigt zu sein. „If we could knot it together…“ sinniere ich laut. „Have you been a boyscout?“ Leider nein. “No, but I know a few sailing knots.”
Leider ist das Seil zu kurz. Man müsste zuerst ein paar Windungen von der Rolle loswickeln. Diese ist aber etwa 10cm zu hoch für mich und ich bin nicht nur der höchste Anwesende, sondern auch der längste. „Can you call for a mechanic, while I inform the passengers?“ Die Lademeisterin nickt.
Nach einer kurzen Ansage an unsere Gäste bin ich zurück und werde informiert, dass die Mechaniker in der nächsten Viertelstunde kaum auftauchen werden. Super. Nochmals mustere ich die Seilrolle. Vielleicht…
Mit etwas Schütteln am Seilende lockere ich die erste Windung und mit einem Luftsprung schaffe ich es tatsächlich das Seil etwas abzurollen. Drei Luftsprünge später ist das Seil lang genug um zusammengeknüpft zu werden. Nun weise ich die Lademeisterin an des Dach einzufahren. Der Motor ächzt und quietscht und gibt dann auf. Ein Alarm kreischt durch den Jetty. Das war wohl nichts. Aber warum? Eine etwas genauere Musterung fördert drei Umlenkrollen zu Tage. Captain Skypointer kratzt sich am Kopf und hält denselben schräg um die Hirnmasse auf möglichst engem Raum zu konzentrieren. Hmm.
Ein Flaschenzug! Logisch! „It’s a pulley!“ rufe ich und ernte verständnislose Blicke. Nach minutenlangem Gefinger habe ich den festgezurrten Knopf endlich wieder gelöst und ein mit ein paar weiteren Luftsprüngen ist das Seil nun lange genug um durch den Flaschenzug gefädelt zu werden. Doch leider hängt an der unteren Rolle ein so schweres Gewicht, dass mir eine Hand fehlt um die Arbeit auszuführen. Gerade rechtzeitig taucht ein Herr mit Leuchtweste auf und ich frage hoffnungsvoll „Are you the mechanic?“ „No, the pushback driver. Is there a problem?“ Definitiv. Ich erkläre ihm das Problem und was ich machen will. Er grinst: „Are you a handyman?“
Tim Taylor der Heimwerkerkönig erscheint vor meinem geistigen Auge. Könnte passen, wenn ich an meine Erfahrungen mit meinem Abtropfgestell denke… Oder besser nicht. „Captain MacGyver“ grinse ich zurück „I need your help.“
Mit vereinten Kräften fädeln wir das Seil durch die ersten beiden Umlenkrollen. Dann stossen wir auf das nächste Problem. Eine Sicherungsschraube versperrt den Weg über die letzte Rolle. Shit! Aber halt – die Mutter sitzt lose! Mit klammen Fingern schraube ich das Ding ab. Jetzt funktioniert es! Seil zusammenknöpfen, Sicherungsschraube wieder rein, die Mutter von Hand bestmöglich anziehen. Sieht gut aus!
Ächzend setzt sich der Motor in Bewegung und das Dach hebt sich langsam vom Flugzeugrumpf. Heureka!
Krach. Eine Sirene heult. Was ist los? Sieht doch alles gut aus. Verwirrt schaue ich mich im Jetty um und sehe dass das unversehrte Seil auf der anderen Seite des Dachs nun aus einer seiner Rollen gesprungen ist. Mit Hilfe des freundlichen Traktorfahrers ist das Problem schnell behoben. Nächster Versuch!
Jetzt läuft es ohne Probleme. Zwar hebt sich das Dach etwas Schräg, da die beiden Seile nicht exakt gleich lang sind, aber wir wollen ja keinen Schönheitspreis gewinnen. Schliesslich ist das Dach praktisch voll eingefahren und wir versuchen den Jetty vom Flugzeug zurückzufahren.
Statt mit einer Bewegung werden wir wieder mit der beschissenen Sirene belohnt. Offenbar verhindert das schräge Dach ein Einfahren. Mit vollem Körpereinsatz hängt sich der Traktorfahrer an das etwas längere Seil. Nun scheint das Dach praktisch gerade – und die Sirene heult wieder.
Captain MacGuyver und der Traktorfahrer schauen sich resigniert an und rufen dann gleichzeitig: „There must be a switch!“ Nach kurzem Suchen ist dieser gefunden und der Traktorfahrer drückt ihn mit der Hand zurück. Tatsächlich lässt sich der Jetty nun wegfahren und das Flugzeug ist endlich befreit.
Mit elf Minuten Verspätung, nach einer weiteren kurzen Passagieransage, stösst uns mein wertvoller Helfer vom Standplatz zurück und über die Gegensprechanlage gratulieren wir uns gegenseitig zu unserem „great job“. Amsterdam hat definitiv den besten Pushbackdriver der Welt!
Als wir losrollen ist noch immer kein Mechaniker in Sicht. Who cares, selbst ist der Kapitän. And with a little help…
Sämtliche Passagiere mit Weiterflug in Zürich haben übrigens ihre Anschlussflüge erreicht.