Shortcut

Der kürzeste Weg zwischen zwei Punkten ist die Gerade. Das kennen wohl die meisten noch aus der Schule. Leider hat der Lehrer wieder einmal nur die halbe Wahrheit gesagt, denn das Ganze stimmt nur im Euklidischen Raum. In der höheren Mathematik, der modernen Physik, der Schifffahrt und der Luftfahrt ist das es leider nicht so einfach. Da der Schuster am besten bei seinem Leisten bleibt, spreche ich in der Folge nur noch von der Luftfahrt:

Diese findet bekanntlich in der Erdatmosphäre und damit auf einer Kugeloberfläche statt. Dort ist die kürzeste Verbindung zweier Punkte ein Grosskreis. Davon kann sich jeder, ohne allzu viel von Sphärischer Geometrie zu verstehen, mit einem Ball und einer Schnur überzeugen. Für Wikipedia ist deshalb klar, dass sich Flugzeuge auf Grosskreisen bewegen:

„Die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten auf einer Kugeloberfläche – die sogenannte Orthodrome (griech. orthos für „gerade“, dromos für „Lauf“) – ist immer Teil eines Großkreises. In der Luftfahrt fliegt man meist entlang dieser Orthodrome, um die geringste Flugstrecke zurücklegen zu müssen, daher auch die umgangssprachlich häufiger gebrauchte synonyme Bezeichnung Luftlinie. „Großkreiskurse“ erreichen etwas größere Breiten als der jeweilige Start- und Zielpunkt.“

Leider sagt auch Wikipedia nur die halbe Wahrheit, denn der Teufel liegt bekanntlich im Detail und jeder der sich beim Autofahren schon einmal von einem Navigationsgerät führen liess, wird sich hüten die kürzeste Route zu programmieren, wenn er nicht irgendwo auf einem Feldweg verzweifeln will. Gefragt ist vielmehr die schnellste Route.

Genau gleich ist es in der Fliegerei. Zwar gibt es hier keine Feldwege, aber es gibt in der Atmosphäre Jetstreams, die mit ihren bis zu 500 Stundenkilometern Spitzengeschwindigkeit die Navigation auf Langstreckenflügen massiv beeinflussen. Statt der kürzesten Route wird ein sogenannter Minimum Time Track (MTT) berechnet, der die vorhandenen Rückenwinde möglichst gut ausnützt und allfällige Gegenwinde tunlichst vermeidet. Dabei wird natürlich auch die Variabilität der Winde auf den verschiedenen Flughöhen mit in die Berechnung einbezogen. Der so entstandene MTT besteht also sowohl aus einer Flugroute, als auch aus einem optimierten Höhenprofil und kann oft massiv vom „optimalen“ Grosskreis abweichen.

So weit so klar. In Nordamerika sind die Fluglotsen oft sehr bemüht uns Abkürzungen anzubieten und geben deshalb oft Freigaben für direkte Routen über sehr lange Strecken. So haben wir auf dem Rückflug von Los Angeles, bereits 150 km vom Startflugplatz entfernt, eine „direct Clearence“  bis an die kanadische Grenze nördlich von Detroit erhalten. Das ergab eine Distanz von 1673 Nautischen Meilen oder knapp 3100 Kilometern!

Genau vor solchen „Gewaltsabkürzungen“ werden wir in unseren Büchern gewarnt:

„Over Canada and USA, expect direct clearance over long distances. When accepting direct clearances, be aware that the OFP is calculated on MTT and flying great circle could result in fuel and time loss.”

Wir mussten uns also gut überlegen, ob das Akzeptieren dieser „direct Clearence“ wirklich klug war. Ein erster Blick in die Wetterkarte schien unsere Zweifel zu bestätigen,  denn statt dem Jetstream, wie geplant zu folgen (blaue Linie), schien die Abkürzung diesen quer zu durchfliegen (rote Linie).

Ein genaueres Untersuchen der Windkarte unserer Flughöhe ergab aber wieder ein etwas anderes Bild, so dass wir uns schliesslich entschlossen den „Shortcut“ zu akzeptieren…

Ob das Ganze zu unserem Vor- oder Nachteil war, werde ich wohl nie endgültig eruieren können. Da wir aber letztlich die geplanten 11 Stunden Flugzeit ziemlich genau erreichten, war die Abkürzung wohl eher eine Nullnummer…

6 Antworten to “Shortcut”

  1. Richi Says:

    Würde mich wunder nehmen:
    Welches ist die längste Strecke, die Du jemals schnur-geradeaus geflogen bist?

  2. skypointer Says:

    Darüber führe ich nicht Buch, aber das oben abgelichtete Ding dürfte dem Rekord recht nahe kommen.

  3. Daniel Says:

    Auch bei der Kugel ist der kürzeste Weg zwischen zwei Punkten eine Gerade. Dummerweise ist die einfach nicht sehr Flugzeugfreundlich… eine Tunnelbohrmaschine wäre geeigneter 😉
    à propos Feldwegen: Wenn die Navis die Höhenmeter berücksichtigen würden, wäre auch die Routenwahl für Velofahrer die ‚kürzeste‘ 🙂

  4. Beate Says:

    Also in Canada (am Boden) ist kürzeste Strecke immer under construction 😉

    Mal Grüße aus Winnipeg da lass

    Beate

  5. skypointer Says:

    @Daniel
    Das wäre dann aber nicht auf der Kugel, sondern in der Kugel und irgendwie habe ich das Gefühl, dass Tunnelbohrmaschinen nie fliegen werden…

    Gibt es denn für Biker kein Navi mit der „steilste“ Route? 😉

    @Beate
    Da habt ihr es aber gut. Bei uns sind grundsätzlich alle Strassen aufgerissen!

  6. Window In The Skies » Blog Archive » (Zu) Grosse Kreise Says:

    […] Wer mir nicht glaubt und allen andern, die weiterlesen wollen, empfehle ich die Lektüre des Beitrages “Shortcut” meines Kollegen skypointer. Er erklärt anschaulich, warum in der Langstreckenfliegerei eine Abkürzung nicht zwingend eine […]

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