X-Man

Mein Tokyo Flug begann, es wird fast schon zur Gewohnheit, mit einem Anruf der Crew Dispo am Vorabend. „Grüezi Herr Skypointer. Wir haben eine kleine Änderung. Sie sind morgen das X. Einen schönen Abend noch…“

Hä? X? Wie X-Men? Reserve X? Um was geht es? Nach kurzem Überlegen kam ich zum Schluss, dass mit dem geheimnisvollen X wohl meine Schicht während des Fluges gemeint war.

In diesem Zusammenhang steht im Einsatz des Kopiloten, der das erste Drittel schläft, ein W (Will schlafen) und in jenem des am Schluss ruhenden ein V (Vängt mit arbeiten an). Im Sandwich dazwischen liegt die Ruheschicht, die mit einem X gekennzeichnet ist.

Das seltsame daran – neben den offensichtlichen orthographischen Schwächen des Erfinders dieser Bezeichnungen – war, dass W und V Kopiloten Einsätze sind, während das X für den Kapitän reserviert ist. Nicht weil es besonders locker ist, sondern weil der Kapitän bei Start und Landung das Kreuz seiner Verantwortung persönlich tragen muss.

Da jetzt aber offenbar ich das X war, regte sich in mir der Verdacht ich sei mit sofortiger Wirkung zum Kapitän ernannt worden. Leider wurde diese Hoffnung bei einem Blick auf die aktuelle Senioritätsliste arg gedämpft, so dass nur noch eine letzte Erklärung für den ungewohnten Einsatz blieb: Ich war mit zwei Kapitänen unterwegs! Da es nämlich immer einen Kopiloten als Sündenbock für allenfalls verpfuschte Starts und Landungen braucht, können in diesen Phasen nicht zwei Kapitäne das Flugzeug steuern. Somit blieb für mich neben zwei Kapitänen nur das X.

Wie ich feststellen durfte, sollte der X Einsatz allerdings nicht Sandwich Schicht sondern Schoggi* Schicht genannt werden. Sie ist nämlich fliegerisch am interessantesten und erst noch eindeutig am wenigsten ermüdend.

So genoss ich nach dem Start in Ruhe mein Mittagessen, bewunderte über Arkhangelsk ein eindrückliches Nordlicht und legte mich danach dreieinhalb Stunden aufs Ohr. Nachdem ich über Neryungri wieder geweckt wurde, genehmigte ich mir ein leichtes Frühstück und landete schliesslich unseren Airbus in Tokyo Narita. Daran könnte ich mich gewöhnen. Die Schoggi Schicht ist wirklich ein Leckerbissen! Kapitän müsste man sein…

Um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, herrscht in Tokyo zur Zeit Kaiserwetter und ich kam im Anflug nicht umhin mit meiner neuen Panasonic den Fuji abzulichten, den die Japaner freundlicherweise zu meiner Begrüssung hinter der Bucht von Tokyo und der sich im Endanflug befindlichen B747 unserer „Mutti“ aufgestellt hatten… 

Fuji

* Für nicht Schweizer: Schokolade

12 Antworten to “X-Man”

  1. TWR Mädel Says:

    Wow, Superbild! Da werd ich jetzt doch fast es bitz neidisch…

    Gruss vom TWR Mädel, die wieder einmal unter dem Nebel sitzt…

  2. skypointer Says:

    Ab morgen Nachmittag blüht mir das auch wieder… Höhren wir uns am Funk?

  3. TWR Mädel Says:

    Leider nein, bis ihr kommt bin ich schon weg…

  4. Richi Says:

    Grossartiges Bild – rückt Grössenverhältnisse und Dimensionen zurecht! Wie klein erscheint dieser Riesen-Jumbo gegenüber dem Fuji.
    Wow!

    „Mutti“ im Endanflug; wäre es ein Austrian-Airlines-Flieger, dann vielleicht „Schwester“.
    Any brother?

  5. Tomy Says:

    …ist ja logisch, dass in Tokyo Kaiserwetter herrscht! ;-)) Noch 10 lange Wochen, dann darf ich auch wieder einmal hin, danke für’s kurzweilige Verkürzen der „Wartezeit“!

    Gruss,
    Thomas

  6. skypointer Says:

    Der einzige Bruder, der mir bekannt ist, ist der Big Brother, genannt ADAS, der mir beim Fliegen auf die Finger schaut…

  7. Richi Says:

    Yeah! Big Brother, that’s it!

    Ich musste nachgoggeln, bzw. nachgoogeln, um dem hier aufgeführten ADAS auf die Schliche zu kommen. ADAS wird demnach, laut Google, zunehmend in Autos eingebaut. Von Flugzeugen ist, bei Wikipedia zumindest, nicht die Rede. Ich gehe nun davon aus, dass ADAS auf die Finger schaut, wie Du sagst – bei Euch im Cockpit, im Flugzeug.

    ADAS im Auto? Bei Boeing oder Airbus wurde es vorher installiert, bevor es in Kraftfahrzeuge eingebaut wurde. Oder nicht?

    Früher hiess es „Armaturenbrett“, im Auto. Heutzutags heisst es „Cockpit“. Zumindest bei den grossen Karossen, bzw. Karosserien. Klingt hyper, hype. Wow, Cockpit! Klingt nach letztem Schrei!

    Brett…what’s that, what does that represent?
    Wenn Du jetzt mit dem Auto zum Flugplatz fährst und auf den Tacho schaust: Schaust Du nun auf Dein Instrumentenbrett? Schaust Du auf die Anzeige- bzw Instrumententafel? Oder schaust Du auf die Anzeige im Cockpit?

    P.S. Wenn ich nach „Big Brother“ google: es erscheint alles mögliche. Von irgend einen Container mit diversen Staffeln ist die Rede. Erstaunlich!
    George Orwell bleibt unerwähnt, trotz Googlesearch.

  8. skypointer Says:

    Im Auto schaue ich normalerweise auf die Strasse. Das ist zwar uncool aber sicherer als den technischen Schnickschnack drinnen zu beobachten…

    Wer etwas über Orwells grossen Bruder erfahren will ist mit http://de.wikipedia.org/wiki/1984_(Roman) gut bedient – oder noch besser, er geht gleich zum nächsten Buchhändler!

    ADAS im Flugzeug hat nichts mit ADAS im Auto zu tun. Das Gleiche gilt für ABS.

    Damit ich nun aber nicht noch mehr Verwirrung stifte, schreibe ich dazu etwas im nächsten Beitrag. Demnächst in diesem Theater…

  9. skypointer Says:

    Nachtrag:

    Wenn ich mir die Wörtliche Übersetzung von Cockpit anschaue, dann frage ich mich, ob dieses wirklich so repräsentativ ist…

    In der Aviatik redet man deshalb schon längst politisch und pilotisch korrekt vom Flightdeck.

    Für die Linguisten hier der Versuch die Etymologie von „Cockpit“ zu ergründen:

    Cock (englisch: Hahn) und pit (englisch: Grube). Cockpit bedeutet also Hahnengrube, die Arena für Hahnenkämpfe.

    Als Cockpit wurde auf den Kriegsschiffen des 18. Jahrhunderts, das Lazarett bezeichnet, das sich bei größeren Schiffen in der Regel auf dem Orlopdeck ganz vorne im Bug befand. Da normalerweise viel Blut bei den Verletzten floss, bürgerte sich auf den englischen Schiffen, in Anlehnung an Hahnenkämpfe, die bekanntlich sehr blutig sein können, die scherzhafte Bezeichnung Cockpit ein.

    Eine andere Erklärung für die Bezeichnung stammt aus dem Ersten Weltkrieg, als der Begriff des Cockpit im Flugzeug geprägt wurde. Dieses war damals ein Loch im Rumpf der offenen Flugzeuge, in das sich der Kampfhahn, also der Kampfpilot, setzte.

  10. TWR Mädel Says:

    Danke für deine Erklärungen – es bleibt zu hoffen, dass ihr das Flightdeck nicht für Hahnenkämpfe missbraucht 😉

  11. skypointer Says:

    Wir doch nicht… 🙂

  12. Window In The Skies » Blog Archive » Einsatzplan November Says:

    […] dieser Konstellation ist, dass ich im mittleren Teils des Fluges schlafen kann, weil ich der “X-Man” bin, wie skypointer beschrieben hat. Like […]

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